Der feuchte Morgen
erwischte mich im Park der Stadt. Mein täglicher Spaziergang in ihm schenkt mir
lebensspendende Atemzüge, die Lungen füllen sich mit reiner, in diesem
gesegneten Garten gefilterten, Luft. Die Ausdauer für den Alltag steigt.
Diesmal, gleich beim
Verlassen des Parks, blieb ich kurz vor einem Gebäude stehen, das mir bislang
noch nicht aufgefallen war. Es war eine Kugel. Bei einer überschlägigen
Berechnung stellte ich fest, dass sie die gleichen Dimensionen besaß wie die
Erde, nur in kleinerem Maß. Ich blieb für einen Moment fassungslos stehen, dann
lief ich ihm entgegen.
Als ich mich ihm näherte,
las ich am Eingangssturz „Warteraum“. Sonst nichts. Ich kam näher heran. Mich
reizte die dorische Schrift. Ich stieg auf die oberste Stufe der Treppe und
öffnete die Tür. Ich schritt etwas zögerlich hinein, bis ich den dumpfen Schlag
hinter mir hörte, die Tür schloss und … verschwand!
Für einen Moment geriet
ich in Panik. Dann jedoch erkannte ich im schwachen Licht viele Menschen, die
im Kreise saßen. Jeden Alters, Geschlechts und jeder Rasse, da ich Weiße und
Schwarze, Asiaten und Indianer erkannte. Mein Blick fing an sich zu drehen, um
alle diese Gesichter zu erfassen. Sie waren jedoch unzählig viele. Ich hörte
auf.
«Wo bin ich, und was macht ihr hier?» fragte ich die
Anwesenden.
«Du befindest dich im Saal der Hoffnung und wir üben
Geduld. Wenn du es bis hierher schaffst, wirst du eingefangen und du entkommst
nie, oder besser gesagt sehr schwer», antwortete ein Älterer.
Was ist die Hoffnung?
Die Hoffnung ist der Abstand
zwischen dem Verlangen und dessen Erfüllung. Sie stammt offensichtlich aus dem
Denkvorgang. Ihre Zuständigkeit befindet sich immer in der Vergangenheit, ihre
Gier jedoch strebt nach der Beherrschung auch der Zukunft. Wie bekannt, ist das
Denken eindimensional. Es bewegt sich im Gleichschritt mit der Zeit. Sein
Hauptmerkmal ist seine Verweigerung, sich mit dem Erreichten abzufinden. Und da
es den Wunsch nicht erfüllen kann, es fantasiert, erwünscht, erwartet, also es
hofft. Und die Gegenwart ist natürlich immer abwesend.
Demnach stellt die Hoffnung die
Projektion der Vergangenheit in die Zukunft dar.
Die Menschen im Saal der Hoffnung
öffneten sich und fingen an zu sprechen:
«Ich bin der zweitreichste Mensch
in der Welt, aber ich möchte der erste werden»
«Ich will Macht erlangen, um über die anderen und deren
Schicksal zu herrschen»
«Ich sitze hier und hoffe, wenn ich sterbe, ins Paradies
zu kommen»
«Ich will, dass meine Partei bei der Regierung dabei ist,
damit ich Arbeit habe. Ich habe Angst von der Partei auszutreten, ich werde
verschwinden, wenn ich aus ihrer Umarmung ausschere. Denn ich hoffe, dass die
Politiker mir das irdische Paradies anbieten werden».
«Ich glaube an meinem Glauben und übe Geduld bis mir
Gottes Worte offenbart werden, während ich gegen Seine Lehre handele. Muß ich
noch lange warten?»
«Ich übe Geduld bis meine Traumfrau zu mir kommt. Ich bin
beim Warten alt geworden, sie auch. So hoffe ich auf das nächste Leben, wo wir
beide jung sein werden, dass sich die Situation besser entwickelt».
«Ich bin unbedeutend und ich möchte wichtig werden, so dass
mich die naiven bewundern».
«Ich hoffe auf eine gerechte Welt, aber ich weigere mich,
mich von meiner inneren Ungerechtigkeit zu trennen».
«Ich bin böse und hoffe, künftig ein guter Mensch zu
werden, aber ich weiß nicht was mich daran hindert es jetzt zu tun».
Und so setzten die Menschen im
kreisrunden Saal fort, ihre Wünsche, ihren Willen zu äußern. Sie lebten und
atmeten für all das. Sie hatten die Wirklichkeit total vergessen, in der sie
lebten, sie war für sie nicht existent, sie interessierte sie nicht. Ihre
gesamte Energie war in die Zukunft gerichtet. Den hinterhältigsten Feind, der
ständig lauert, einem alles weg zu schnappen. Und du, eingeschüchtert, sitzt
machtlos vor ihm.
Das Denken ist unser Dynast. Es
hält uns gefangen. Es hindert uns daran aufzustehen, seine hinterhältigen
Fesseln zu durchbrechen. Und es schafft es ausgezeichnet. Wenn man gierig ist
und die Zukunft beherrschen will, wird automatisch die Falle der Hoffnung
errichtet. Sobald der eine Wunsch in Erfüllung gegangen ist, wird man von der
Hoffnung in der Erwartung des nächsten Wunsches eingefangen, und des
übernächsten, und so beharrt man ununterbrochen in der Warteschlange…..
Die Gegenwart ist Handeln. Sie ist pure Energie,
solange Uneigennützlichkeit herrscht. Das Denken ist gerissen, es intrigiert
immer, um seine Interessen durchzusetzen. Und der persönliche Nutzen ist eine
Katastrophe für die anderen. Womöglich auch für sich selbst, aber das
interessiert nicht.
Als letzter sprach der Elder: «Viele Dinge worauf ich
gewartet habe, sind nicht eingetreten. Andere ereigneten sich, die ich nicht
erwartet habe. Die Zeit ist eine sonderbare Angelegenheit, manchmal verstreicht
sie langsam und manchmal schnell, und immer in diesem Ablauf herrscht Erwartung».
«Du Edler, auf was hoffst Du?»
«Ich hoffe auf einen
schmerzfreien Tod. Jetzt, wo ich jedoch darüber nachdenke, die Hoffnung ist ein
langsamer Tod, und deswegen stirbt sie zuletzt».
«Und warum soll sie nicht
als erste sterben?»
fragt ich ihn mit einer Naivität, die meine eigen ist.
Weil, wenn sie als erste stirbt,
wird sie dir Mensch deine Freiheit geben. Und du hältst sie nicht aus.
Am Rande des Saals spielte ein
Kind sorglos mit seinen Spielsachen. Seine gesamte Energie befand sich in der
Gegenwart. Es ignorierte die Hoffnungen und die Ängste der Anderen. War der
Saal für das Kind unsichtbar?
Was meint ihr?
Die Bewohner der Welt…